Georg Christoph Lichtenberg

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Seite 402

Band 2 - Teil II - Vom Lichte

Zweytes Bändchen.
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1wir gleichwohl jeden Ge|genstand nicht zweymahl, sondern nur490
2einmahl sehen?
3Man sagt gewöhnlich, man sähe mit zwey Augen, den Gegen-
4stand nur darum einfach, weil sich die Gesichtsnerven beyder
5Augen vereinigen. Aber, wenn dieß die Ursache wäre, so sähe man
6nicht, wie man doch eine Sache doppelt sehen könnte, wenn man
7sich z.B. ein bischen das Auge drückt. Ueberdieß hat man ja auch
8durch die Anatomie gefunden, daß die Gesichtsnerven nicht in
9eins zusammen, sondern nur neben einander fortlaufen.
10Besser wird das Phänomen durch die Gewohnheit erklärt. Wir
11sehen alsdann erst einfach, wenn wir unsere Augen so gewöhnt
12haben, nach einer Axe hinzusehen, das wir es nicht merken, daß
13wir doppelt sehen. Kinder sehen anfangs unstreitig doppelt. Sie
14sehen so mit den Augen herum. Nach und nach werden sie aber |
15durch das Gefühl so betrogen, daß sie alle Dinge für einfach491
16halten, und also das einfache Sehen aus der Praxis lernen. Auch
17hat man Beyspiele von Personen, die einen heftigen Schlag auf
18das Auge bekommen haben: daß es sich verdrehte, und sie nun
19lange Zeit alle Gegenstände doppelt sahen; nach und nach sahen
20sie wieder alles durch die Gewohnheit einfach. – Indeß auch bey
21dieser Erklärung finden noch manche Schwierigkeiten Statt. Es
22müßte nach derselben etwas Geometrisches im Auge seyn, und es
23müßte daraus folgen, daß man auch andere Stellen dazu gewöh-
24nen könnte.
25Im September 1794 vomEuropean Magazinist über diesen
26Gegenstand eine Abhandlung mit C. D. unterschrieben, vermuth-
27lich von Darwin. Er glaubt, in der Natur unserer Seele sey etwas
28Correspondirendes, und dann sehen wir es nur einmahl. Er stellte
29hierüber folgenden Versuch an. Er schnitt seine Silhouette in ein |
30Brett und verlängerte dieses sehr weit. In einiger Entfernung stellte492
31er zwey Blätter Papier, ein weißes und ein rothes. Wenn er eine
32Weile auf das Rothe sah, und hernach auf das Weiße, so schien
33ihm auch dieses roth zu seyn.∗

Textkritischer Kommentar

Textkritischer Kommentar (Randtext)

Anmerkungen

402 ∗ 
402
1Die neuesten Erklärungen des Phänomens sind von Troxler und
2Haldat. Siehe über die erstere Himlys u. Schmidts ophthalm. Bibel.
33ten Bdes 2tes und 3tes Stück. Göttingen 1807; und über die letztere:
4Tromsdorffs Annalen der Fortschr. u.s.w. 1. Band. S. 645. Erfurt 1809.
anmerkung 241801
798062 243952 2

Anmerkungen

Herausgeberkorrekturen am Drucktext

Marginalien zur sechsten Auflage

Anmerkungen von Lichtenberg

Registereinträge

0 243952 Personenregister ~ Darwin, Robert Waring ~ Sehen. 22979 2 402 27 kapitalis Darwin siehe Gesamtregister.
0 243952 798062 Personenregister ~ Haldat du Lys, Charles Nicolas Alexandre de ~ Schriften ~ [Sur la double vision] (1807) ~ Haldat führt die Gesetze des Doppelsehens auf allgemeine Gesetze des Sehens zurück (dt. 1809). 16783 2 402 2-4 * 1 Haldat Tromsdorffs Annalen der Fortschr. u.s.w. 1. Band. S. 645. Erfurt 1809. siehe Gesamtregister.
0 243952 798062 Personenregister ~ Himly, Karl Gustav ~ Herausgeber ~ Ophthalmologische Bibliothek (1802–1807). 22981 2 402 * kapitalis Himly siehe Gesamtregister.
0 243952 Sachregister ~ Sehen ~ einfach sehen. 12398 2 402 1-33 1 wir gleichwohl jeden Ge | genstand nicht zweymahl, sondern nur 490 einmahl sehen? Man sagt gewöhnlich, man sähe mit zwey Augen, den Gegen- stand nur darum einfach, weil sich die Gesichtsnerven beyder Augen vereinigen. Aber, wenn dieß die Ursache wäre, so sähe man nicht, wie man doch eine Sache doppelt sehen könnte, wenn man sich z.B. ein bischen das Auge drückt. Ueberdieß hat man ja auch durch die Anatomie gefunden, daß die Gesichtsnerven nicht in eins zusammen, sondern nur neben einander fortlaufen. Besser wird das Phänomen durch die Gewohnheit erklärt. Wir sehen alsdann erst einfach, wenn wir unsere Augen so gewöhnt haben, nach einer Axe hinzusehen, das wir es nicht merken, daß wir doppelt sehen. Kinder sehen anfangs unstreitig doppelt. Sie sehen so mit den Augen herum. Nach und nach werden sie aber | durch das Gefühl so betrogen, daß sie alle Dinge für einfach 491 halten, und also das einfache Sehen aus der Praxis lernen. Auch hat man Beyspiele von Personen, die einen heftigen Schlag auf das Auge bekommen haben: daß es sich verdrehte, und sie nun lange Zeit alle Gegenstände doppelt sahen; nach und nach sahen sie wieder alles durch die Gewohnheit einfach. – Indeß auch bey dieser Erklärung finden noch manche Schwierigkeiten Statt. Es müßte nach derselben etwas Geometrisches im Auge seyn, und es müßte daraus folgen, daß man auch andere Stellen dazu gewöh- nen könnte. Im September 1794 vom European Magazin ist über diesen Gegenstand eine Abhandlung mit C. D. unterschrieben, vermuth- lich von Darwin. Er glaubt, in der Natur unserer Seele sey etwas Correspondirendes, und dann sehen wir es nur einmahl. Er stellte hierüber folgenden Versuch an. Er schnitt seine Silhouette in ein | Brett und verlängerte dieses sehr weit. In einiger Entfernung stellte 492 er zwey Blätter Papier, ein weißes und ein rothes. Wenn er eine Weile auf das Rothe sah, und hernach auf das Weiße, so schien ihm auch dieses roth zu seyn. siehe Gesamtregister.
0 243952 798062 Personenregister ~ Schmidt, Johann Adam ~ Herausgeber ~ Ophthalmologische Bibliothek (1802–1807). 22983 2 402 * kapitalis Schmidt siehe Gesamtregister.
0 243952 798062 Personenregister ~ Trommsdorff, Johann Bartholomäus ~ Herausgeber ~ Annalen der Fortschritte (1809–1812). 22985 2 402 4 * kapitalis Tromsdorffs siehe Gesamtregister.
0 243952 798062 Personenregister ~ Troxler, Ignaz Paul Vitalis ~ Schriften ~ Ueber die Frage: Warum sehen wir mit zwey Augen die Gegenstände nicht doppelt? (1807). 18335 2 402 1-3 * Troxler Himlys u. Schmidts ophthalm. Bibel. 3 3ten Bdes 2tes und 3tes Stück. Göttingen 1807 siehe Gesamtregister.
0 243952 Personenregister ~ Crisp, John ~ Schriften ~ Observations relative to single vision (1794). 8194 2 402 25-26 Im September 1794 vom European Magazin ist über diesen Gegenstand eine Abhandlung siehe Gesamtregister.
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